Faszination Karate – 5 Aspekte die Karate einzigartig machen

Die Faszination Karate liegt in der ganzheitlichen Zusammenführung von traditionellen Werten mit technischem Können, Selbstverteidigung, sportlicher Herausforderung und Schulung von Körper und Geist. Im Folgenden werden fünf grundlegende Aspekte von Karate näher erläutert.

1. Rei – Respekt und „Rituale“ im Karatetraining

Gichin Funakoshi hat in seinem Buch „Die 20 Prinzipien des Karate“ gleich das erste Kapitel dem „Rei“ gewidmet: „Karate beginnt und endet mit Respekt“. Unter anderem ist damit die gegenseitige Verbeugung und auch die Verbeugung beim Betreten des Dojo gemeint. 

Aber Rei symbolisiert vielmehr auch die allgemeine Einstellung und den Respekt gegenüber der Sache, die man ausübt. Dazu gehört auch das Sitzen im „Seiza“ zu Beginn und Ende des Trainings. Dabei wird Mokuso (jap. Ruhiges Denken) ausgeführt, eine kurze Meditation, die den Karateka vom Alltag lösen und auf das Training vorbereiten soll.

Für manche Sportler mögen diese Rituale überholt wirken, aber für mich als Karatelehrer stellen sie einen maßgeblichen Aspekt der Faszination Karate dar. Einerseits geht es dabei um Traditionen, die wir bewahren, und andererseits ist es selbst schon ein Teil des Trainings, indem Ruhe und Konzentration geschult werden. 

2. Kime – fokussierte Trefferwirkung durch optimale Körperspannung

Der richtige Umgang mit Körperspannung ist in allen Kampfkünsten essentiell: Man sollte zu Beginn einer Technik entspannt sein, damit diese schnell und ansatzlos eingeleitet werden kann. Beim Endpunkt der Technik wird der Körper gespannt, um dadurch die Wirkung zu verstärken. 

Was Kime im Karate so einzigartig macht, ist die explosionsartige Fokussierung der Technik in einem möglichst kurzen Moment des Auftreffens, bei gleichzeitiger Anspannung aller beteiligten Muskeln (im Optimalfall alle Muskeln von der Wade bis zum Unterarm). 

Dabei ist das Timing ausschlaggebend: Spannt man zu früh an, verlangsamt man damit den Schlag und verliert dadurch einen Teil des möglichen Impulses. Natürlich wäre auch solch ein Treffer schmerzhaft, aber das richtige Kime sollte eine finale Wirkung entfalten. 

3. Distanz – Techniken mit großer Reichweite

Die meisten Kampfkünste wie Judo, Aikido, Jiu Jitsu, Boxen etc. sind auf eher nahe Distanzen ausgerichtet. Im Karate gibt es neben Nahkampftechniken auch Techniken zur größeren Distanzüberwindung wie etwa oi-zuki, wo ein Schlag mit einem Schritt vorwärts ausgeführt wird (auf englisch daher auch stepping punch genannt). 

Für mich ist der oi-zuki die wahre Esssenz der Faszination Karate, da sich darin der Zen-Gedanke der lebenslangen Übung widerspiegelt! 

Für andere Kampfkünste mag es sinnlos erscheinen, eine Technik mit Schritt zu üben, da ein geschulter Kampfsportler, z.B. ein Boxer, sofort in die Technik hinein-kontern würde. Aber durch andauerndes Wiederholen verbessern sich sukzessive Geschwindigkeit, Explosivität und Kraft, bis der oi-zuki eine gewaltige Waffe auf längere Distanz wird, die sich zum Beispiel gegen mehrere Gegner eignet oder um einem Stockangriff zuvor zu kommen. 

Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, egal wie oft man eine Technik gegen Waffen übt – der bewaffnete Angreifer ist massiv im Vorteil und Deeskalation oder Flucht sind daher immer der bessere Weg.

4. Kampf gegen mehrere Gegner

Die einzig wahre Verteidigung gegen mehrere Gegner ist … Laufen! Auch der beste Kämpfer kann sich nicht gleichzeitig in alle Richtungen verteidigen: Jeder kennt diese durch-choreografierten Filmszenen, in denen der Held unzählige Schurken unschädlich macht – leider unrealistisch!

Kampfkunst verleiht nicht Unbesiegbarkeit, sondern je nach Stilrichtung einen Handwerkskasten mit hoffentlich hilfreichen Techniken zur Selbstverteidigung. Vor allem zwei Punkte sprechen hierbei für die Faszination Karate: Einerseits die Einstudierung von Verteidigungstechniken durch das Üben von Kata und andererseits das Erlangen eines Gefühls für die Umgebung durch das Bewegen in alle Richtungen.

In der Kata wird ein Schattenkampf gegen zumeist 2-3 Gegner geübt, entweder alleine oder in partnerweiser Anwendung (“bunkai” genannt). Durch verschiedene Kombinationen aus Verteidigung mit Folgeangriffen lernt der Karateka, unterschiedlichen Bedrohungen entgegenzuwirken. Dabei geht es nicht, wie fälschlicherweise oft angenommen wird, um das Erlernen der besten Anwendungstechnik. Vielmehr geht es um die Automatisierung der einzelnen Sequenzen: Block + Gegenangriff möglichst schnell und stark durchzuführen. Damit soll im Ernstfall der Ablauf aus dem Unterbewusstsein abgerufen werden. 

Der erwähnte andere Aspekt der Kata-Schulung liegt abseits von Techniken: Man bewegt sich während der Kata in alle Richtungen, unter anderem auch mit Abwehr nach hinten in Rücken Richtung, und kommt dann wieder zum Ausgangspunkt zurück. Dadurch lernt man, den Überblick zu bewahren und ein entsprechendes Raumgefühl zu entwickeln.

Neben einstudierten Kata-Anwendungen ist das oben angeführte Kime Prinzip ebenfalls ausschlaggebend für den Kampf gegen mehrere Gegner. Sollte ein Kampf wirklich nicht zu verhindern sein, ist es notwendig, den Anführer schnell und kompromisslos zu erledigen. 

Eine Konfrontation über mehrere Schläge hinweg würde den anderen Gegnern die Möglichkeit geben, einzuschreiten – daher ist der Anführer im Optimalfall mit dem ersten Schlag, unter Einsatz von maximalem Kime, auszuschalten.

5. Methodik – Kihon und die Macht der Wiederholung

Die Karatekunst ist lebendig und entwickelt sich ständig weiter. Unter dem Gesichtspunkt des Karate-do, des lebenslangen Weges der Übung, wird die Grundschule Kihon immer einen wichtigen Aspekt darstellen.

Es gibt kaum eine Kampfkunst, in der die Genauigkeit der Technik eine so große Rolle spielt wie im Karate. 

Die allererste Übung im Karate, “gerader Fauststoß nach vorne im schulterbreiten Stand (choku-zuki in shizentai)”,  wird auch von alten Meistern nach jahrzehntelangem Training immer noch täglich geübt, um der Perfektion wieder ein kleines Stückchen näher zu kommen. 

Dieser simple Fauststoß wird so über die Jahre zu einem motorischen Gesamtkunstwerk aus harmonischem Zusammenspiel von Beinen, Hüfte, Bauchmuskulatur, Schulter, Ellbogen und Faust; obwohl wir uns nicht von der Stelle bewegen – dies ist die wahre Faszination Karate und gelebtes Budo!

Mokuso!

Mokuso yame!

Shomeni Rei!

Oss!