Takeji Ogawa und Franz Peischl beim Training im ASKO Karate Steyr.

Karate Flow Teil 3 – Der Weg zum Karate Flow – keep calm and grow!

Wie der langsam fließende Entwicklungsprozess den Karateka innerlich und äußerlich formt

Was bewirkt der Karate Flow im Karateka

Kampfkünste haben erwiesenermaßen positive Auswirkungen auf Körper und Geist, und zwar unabhängig davon, welcher Stil ausgeübt wird. Die meisten körperlichen Vorteile sind offensichtlich wie Kraft, Ausdauer oder Gelenkigkeit, aber es gibt auch weniger sichtbare Aspekte, welche sich aber langfristig umso mehr rentieren – wie etwa eine allgemein bessere Körperwahrnehmung durch den Karate Flow und damit verbunden auch ein besseres Körpergefühl.

Genauso sind auch die geistigen Aspekte vielfältig: Jungen Menschen ohne Halt in der Gesellschaft kann die Gemeinschaft eines Gym oder Dojo ein Zugehörigkeitsgefühl und eine geistige Heimat vermitteln. Ein Kampfkünstler lernt, seine Aggressionen abzubauen und in einen positiven Budo-spirit umzuwandeln. Unter richtiger Anleitung sind Fairness und Respekt keine Schlagwörter, sondern werden zur Lebenseinstellung. Die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit anderen schult Konzentration und Aufmerksamkeit (zanshin). Durch Selbstreflexion lernt man seine Fehler zu analysieren und sich immer weiter zu verbessern. Wenn am Anfang des Weges der Kampfkunst ein Sieg noch wichtig erscheint, wird dies im Laufe der Zeit in den Hintergrund treten und eine heitere Gelassenheit und Ruhe den Krieger zum weisen Meister werden lassen.

Dies ist der Weg, wenn er ganzheitlich und bewusst beschritten wird: „Nicht Sieg oder Niederlage sind von Bedeutung, sondern die Vervollkommnung der Persönlichkeit“ (Gichin Funakoshi).

Aber leider kennen wir alle Negativbeispiele von Dan-Trägern, für die trotz jahrelangen Trainings Respekt, Fairness und Hilfsbereitschaft Fremdwörter darstellen.

Die simple Ausübung eines Sportes ergibt noch keine Garantie zur geistigen Entwicklung, weil vielen Menschen das eigene Ego im Weg steht, welches die spirituelle Reifung abseits von Technik und Schnelligkeit verhindert.

Was macht den Kämpfer zum Meister

Ich glaube, dass die bewusste Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Aggressionen einen Karateka sensibler und empathischer werden lässt. Wenn man viele Kämpfe bestritten hat, das Tun an sich aber immer wichtiger war als der Erfolg, beginnt die zweite und wichtigere Karriere im Karate.

Ein Meister steht über den Dingen, kann sich von der jugendlichen Getriebenheit durch sein Ego lösen. Mein erster, längster und wahrscheinlich auch wichtigster Karatelehrer war ein exzellenter Karateka, aber leider Zeit seines Lebens gebeutelt durch die Widersprüchlichkeiten seines Ego: Einerseits hat er sich durch die langen Karate Aufenthalte in Japan als Samurai oder Budoka gefühlt, anderseits wollte er seine Erfolge immer in Ruhm und Geld anerkannt sehen.

Und nach seiner eigenen sportlichen Karriere hat er sein Karate durch Erfolge seiner Schüler und finanziellen Gewinn des Dojo definiert. Entsprechend fordernd war das Training und entsprechend ungleich die Behandlung zwischen talentierten und untalentierten Schülern.

Bei der Transformation vom Kämpfer zum Meister ist der erste Schritt das Loslassen von der eigenen Vergangenheit und der zweite Schritt das Loslassen vom eigenen Ego; Karate Flow in Form von physischer und psychischer Aufarbeitung. Dieser Prozess spielt auch im ZEN eine große Rolle, weshalb Karate oder insbesondere die Ausführung von Kata auch als „Moving Zen“ (sehr empfehlenswert das gleichnamige Buch von C.W.Nicol!) bezeichnet wird.

Schöne Beispiele für meditative, fließende Kata im Sinne von Karate Flow oder Moving Zen sind etwa Hangetsu, Sochin und Nijushiho, welche gerne von älteren Karatemeistern praktiziert werden.

Je länger und intensiver man sich mit diesen Kata beschäftigt, desto mehr stellt man fest, dass die fließenden Techniken darin nicht nur körperschonender, sondern wenn richtig angewendet, auch im Partnertraining erfolgreich eingesetzt werden können. Aber darum geht es dann eigentlich nicht mehr, sondern vielmehr um das Aufgehen im Tun, im Jetzt, im Sein!

Wenn eine Kata so weit gefestigt ist, dass man nicht mehr an die einzelnen Techniken oder die richtige Atmung denken muss, kann man die Losgelöstheit im Kata-Fluss genießen und vollkommen darin aufgehen.

Diese Losgelöstheit wird dann mehr und mehr nicht nur ein Zustand im Training sein, sondern der Karate Flow wird Teil des Lebens und erfüllt den Karateka mit Ausgeglichenheit und natürlicher Entspanntheit in jeder Lebenslage.

Und diese Entspanntheit führt indirekt auch zu einem Vermeiden von Konfliktsituationen. Es ist gut, sich im Ernstfall verteidigen zu können, aber noch besser, wenn es erst gar nicht dazu kommt. Ein guter Karate-Meister strahlt eine innere Ruhe aus, die äußere Aggressionen neutralisieren oder zumindest abschwächen kann. Keinesfalls zeichnet es einen Meister aus, wenn er selbst den Konflikt sucht oder sich nur von Kampf zu Kampf beweisen will!

Was macht den Meister zum guten Lehrer

Nicht jeder Karateka, der ein guter Kämpfer ist oder eine großartige Kata macht, ist auch ein guter Lehrer. Der eigentliche Karateweg beginnt zumeist nach der Wettkampfkarriere, wenn das auf den Sieg ausgerichtete Training nicht mehr so wichtig ist. In jungen Jahren ist das Austesten und Vergleichen der eigenen Fähigkeit wichtig zur Persönlichkeitsentwicklung.

Aber mit dem Alter sollten sich die Prioritäten ändern – Karateka die den Karate Flow für sich nicht entdeckt haben, hören dann oft mit dem Training auf oder geben nur die bis dahin gesammelten eigenen Erfahrungen weiter, ohne weiter an sich selbst zu arbeiten.

Osaka Yoshiharu

Ein vorbildhaftes Beispiel für intensive Auseinandersetzung mit allen Karate Aspekten und damit verbunden der stetigen Weiterentwicklung stellt Kata Legende (7-facher All Japan JKA Kata Champion!) Osaka Yoshiharu dar.

Als Meisterschüler von Nakayama sensei und durch intensives eigenes Training hat sich Osaka sensei ein enormes Karate Wissen angeeignet, weshalb er oft „The living textbook of Karate“ genannt wird. Die meisten Sensei können logischerweise Techniken perfekt vorzeigen, aber wenige auch gut erklären – bei Osaka sensei geht Vorzeigen auf höchstem technischen Niveau und Erklären Hand in Hand, verständlich und nachvollziehbar. Deshalb wird er als Karatelehrer auch außerhalb der JKA sehr geschätzt (z.B. holt sich Andre Bertel immer wieder Inspiration durch Training bei Osaka sensei).

Erfolgreich sowohl in Kata als auch Kumite, strahlt er nun im hohen Alter die Aura eines in sich ruhenden Kriegermönches aus. „Seine“ Sochin fließt in geschmeidiger, aber trotzdem spannungsvoller Anmut dahin, ohne jemals gezwungen oder gestellt zu wirken.

Tetsuhiko Asai

Ein anderer Meister der fließenden Kampfkunst ist das Karate-Genie Tetsuhiko Asai, den ich leider nie kennenlernen konnte, sehr wohl aber einen seiner Meisterschüler, Andrè Bertel.

Im Zuge eines Lehrganges hat Andre oftmals erwähnt, was für ein vorbildhafter Lehrmeister Asai sensei war – zwar fordernd, aber immer freundlich und hilfsbereit und auf jeden Schüler eingehend!

Bei diesem Seminar hat Andre uns Kata Suishu („Wasserhände“) nähergebracht, wo schon der Name Programm ist – Meister Asai hat diese Kata entwickelt, um speziell die dem Wasser innewohnende fließende Änderung von Schnelligkeit, Kraft- und Angriffsrichtung darin zum Ausdruck zu bringen.

Über seine Vorbilder im Allgemeinen hat Andre in einem seiner Karate Blogs geschrieben:

Asai sensei is NIJUSHIHO, Yahara sensei is UNSU and Osaka sensei is SOCHIN. These karate masters make the current generation red faced. No one can move at their level. This is the source of so much politics… Jealousy.
No one wants to stand alongside Osaka Sensei in kata practice, as we all look stupid. In my case, I want to look stupid, and hopefully get just a little closer to near perfection.” 

Ogawa Takeji

In Österreich haben wir unsere eigene Karate Legende, Goju-ryu Großmeister Ogawa Takeji. In den vielen Jahrzehnten der Trainertätigkeit, unter anderem als Bundestrainer in Österreich, aber auch in den Nachbarländern, hat Ogawa sensei sein einzigartiges Wissen um Karate-do weitergeben und arbeitet auch mit über 80 Jahren immer noch täglich an der eigenen Verbesserung.

Jedes Training bei Ogawa ist aufs Neue eine unglaubliche Erfahrung in Bezug auf Körperspannung und Elastizität, zum Beispiel bei seinen „federnden“ Tsuki. Dabei ist Sensei immer bescheiden und sagt, dass er nur Tipps und Anleitungen zur Verfügung stellt, die eigentliche Arbeit aber jeder für sich im persönlichen Training leisten muss.

Der Stilname Goju-ryu beschreibt kurz und prägnant die Philosophie hinter dieser Form von Karate: „hō gōjū donto“ – „Alles im Universum atmet hart und weich“.

Obwohl ich seit über 30 Jahren Shotokan Karate praktiziere, hat mich die Goju-ryu Einstellung von hart/weich immer fasziniert. Viele Jahre hinweg war Ogawa sensei Gasttrainer für das Sommer-Gasshuku in dem Verein, wo ich meine ersten 20 Karatejahre verbracht habe.

Und auch jetzt noch fahre ich gelegentlich für ein Ogawa Training von Wien nach Steyr, um die vielen Erinnerungen und Eindrücke zu seinen speziellen Bewegungsmustern aufzufrischen.

Dabei habe ich mir immer wieder stichwortartige Notizen zu seinen Ansichten über Karate gemacht. Die Kernaussage der Karate-Einstellung von Ogawa sensei:

„Sehr wichtig: Jeden Tag Karate machen und versuchen, die Technik auch im Alter noch zu verbessern!“

Oss, sensei!